Soll Winnetou abgeschafft werden?

 von Carmen Kwasny


Am 23.08.2022 fing morgens das Telefon an zu klingeln und hörte bis in die Abendstunden hinein nicht mehr auf. Parallel dazu landeten weitere Interviewanfragen in unserem E-Mail-Postfach. Was war geschehen?

Der Ravensburger Verlag hatte zwei Bücher vom Markt genommen. Beide tragen den Titel "Der junge Häuptling Winnetou". Die Untertitel lauten: "Das Buch zum Film" und "Das Erstlesebuch zum Film". Auf Instagram hatte der Verlag seine Entscheidung begründet:

"Wir haben die vielen negativen Rückmeldungen zu unserem Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ verfolgt und wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen.
Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. ..."

Aus der Formulierung "dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben" entstand über Nacht ein neues Konstrukt, obwohl doch klar sein sollte, dass es sich hier ausschließlich um die beiden Bücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ handelt. Auf einmal stand die Forderung nach einem Verbot der Karl May Bücher und der alten Winnetou-Filme im Raum und ein Aufschrei von gewaltigen Ausmaßen ging, von etlichen Medien noch gründlich angefeuert, durch die Bevölkerung.


Hat unsere Organisation, die Native American Association of Germany, dies jemals gefordert?

Nein. Ganz nach unserem Motto "Building Bridges - Connecting People" ("Brücken bauen und die Menschen miteinander verbinden") leisten wir Aufklärungsarbeit über schädigende, stereotype Vorstellungen und vermitteln Kontakte zu Native Americans. Und genau das habe ich an dem Tag getan, als das Telefon nicht mehr still stand.
Die Medien waren auf der Suche nach Native Americans in Deutschland, die ein Interview geben könnten und zwar "heute noch" und "in deutscher Sprache". Ich nannte ihnen drei Native Americans, die in Deutschland leben und sich zu ähnlichen Themen bereits in der Vergangenheit geäußert hatten: Kendall Old Elk, Red Haircrow und Tyrone White, der fließend deutsch spricht. Zwischendurch nahm ich kurz Kontakt zu ihnen auf, um zu klären, ob sie für Interviews zur Verfügung stünden. Sie sind keine Mitglieder der Native American Association of Germany e.V.

In der Tagesschau stand dann auf einmal unter dem Interview mit Tyrone White der Name unserer Organisation. Tyrone hat darauf hingewiesen, dass dies nicht richtig sei und trotzdem geschah dies noch einmal während der Tagesthemen und auch in der Sendung Stern TV passierte schon wieder der gleiche Fehler und erneut wies Tyrone White darauf hin, dass er kein Mitglied unserer Organisation ist. Leider konnte dies erst im Nachhinein geschehen. Keiner von uns hatte damit gerechnet, dass es zu diesem Missverständnis kommen könnte.


Die, an mich gerichtete Frage danach, ob wir als Organisation die Entscheidung des Ravensburger Verlags, die Bücher zum neuen Kinofilm zurückzuziehen, befürworten, habe ich mit einem klaren "Ja" beantwortet.

Warum? Weil wir seit Jahrzehnten darauf hinweisen, dass stereotype Vorstellungen alles andere als harmlos sind und genau deshalb begrüßen wir die Entscheidung des Verlags.


Sehe ich mich selbst als eine "Vertreterin der amerikanischen Ureinwohner in Deutschland", wie in den Medien immer wieder behauptet?

Nein. Ich vertrete die Werte und Grundsätze unserer Organisation in der Öffentlichkeit. Ich kann nicht für die Native Americans sprechen, die hier in Deutschland leben und ich habe das auch nie behauptet. Sie haben verschiedene Meinungen zu diesen Themen und auch unterschiedliche Herangehensweisen und wir werden uns zusammensetzen, um zu beraten, wie wir dies der Öffentlichkeit gegenüber klar stellen können. Es gibt nicht die Meinung der Native Americans, weder hier, noch in den USA oder Kanada. Allein in den USA gibt es 576 anerkannte (federally recognized) indigene Nationen und Communities. Sie haben den Status von souveränen Nationen innerhalb der USA, die Verträge mit der US-Regierung haben. Der Gedanke, dass einer oder eine von uns - und damit meine ich unsere Gruppe, bestehend aus Native Americans und Europäern - für diese Nationen sprechen könnte, ist schlicht und einfach absurd. Ich selbst sehe mich als einen Brückenpfeiler. Native Americans können für sich selbst sprechen. Ich bin nicht ihr Sprachrohr und will das auch gar nicht sein. Im Internet gibt es inzwischen sehr viele Informationen aus erster Hand und ich sehe es als eine meiner Aufgaben an, dass diese Quellen auch hier bekannt werden.


Als der Film „Der junge Häuptling Winnetou“ in die Kinos kam, wurde ich von den Medien um eine Einschätzung gebeten.

Ich habe mir den Film angesehen und mal ganz abgesehen davon, dass er eine ganze Fülle an stereotypen Vorstellungen enthält, die nun an die nächste Generation weitergegeben werden, frage ich mich, warum der Film diesen Titel trägt. Ich bin selbst mit den Karl May Büchern und Winnetou-Filmen groß geworden und außer den Namen "Winnetou", "Intschu Tschuna", "Nscho-tschi" und einem Jungen, der stets "Wenn ich mich nicht irre" vor sich hin kichert, sehe ich keinerlei Verbindungen zu den Werken Karl Mays. Ich kann mit diesem Film nicht viel anfangen und er hat mich auch nicht berührt. Bei den alten Winnetou-Filmen mit Pierre Brice war das ganz anders. Viele Kindheitserinnerungen sind damit verbunden. Ich kann mich jedoch noch sehr gut daran erinnern, wie wütend ich auf Karl May war, als ich erfuhr, dass die Apache nicht in Pueblos lebten und es auch keine Kanus auf dem Rio Pecos gab. Ich hatte seinen Geschichten Glauben geschenkt und fühlte mich betrogen.

Im Teenager-Alter wurde mir klar, dass in den Werken Karl Mays die Apachen sich anders verhalten, weil die Häuptlingsfamilie den deutschen Einwanderer Klekih-petra an ihrer Seite hatte. Der Name wurde mit "Weißer Vater" übersetzt. Alle anderen Stammesnationen werden in der Regel nicht sehr positiv dargestellt. Winnetou hat dann eine Blutsbrüderschaft mit Old Shatterhand, der ebenfalls weiß ist. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist der Rassismus-Vorwurf durchaus nachvollziehbar.


Viele Native Americans, die Deutschland bereisen oder hier wohnen, wissen, dass Karl May mit seinen Winnetou-Geschichten, auf den ersten Blick betrachtet, ein eher positives Bild geschaffen hat.

Sie haben jedoch die Bücher nicht gelesen und kennen auch nicht die brisanten Details. "Mir wurde von Deutschen sehr viel Wertschätzung entgegen gebracht." ist ein Satz, den ich im Laufe der vielen Jahre oft von Native Americans gehört habe. Doch diese Bewunderung hat einen entscheidenden Haken, denn sie schlägt bei etlichen deutschen "Fans" ins absolute Gegenteil um, sobald Native Americans nicht die gängige stereotype Vorstellung erfüllen. Dies ist erneut im Zusammenhang mit den Diskussionen über den neuen Film und die Entscheidung des Ravensburger Verlags geschehen. Seit vielen Jahren hören wir immer wieder und wieder die selben Kommentare, sobald Native Americans es wagen, etwas zu kritisieren, was deutschen Bürgern lieb und teuer ist und was sie verteidigen, als ginge es um ihr Leben. Und was ist mit den Rechten der Bürger der unterschiedlichen indigenen Nationen?

Im Zusammenhang mit dieser frei erfundenen, sogenannten "Winnetou-Debatte" gab es nach einiger Zeit noch weitere Schlagzeilen:

"Eine Minderheit versucht der Mehrheit zu diktieren, was sie zu lesen habe." Und es sei "ein kulturelles Sakrileg" die "Verbreitung der Karl May Bücher zu unterbinden".

Native Americans haben einen Völkermord überlebt. Die Kinder der Überlebenden wurden ihren Familien entrissen und in weit entfernte Internatsschulen gebracht um sie dort gewaltsam umzuerziehen. Die Maxime lautete damals: „Tötet den Indianer, aber rettet den Menschen!“. In letzter Zeit kommen immer mehr Gräueltaten ans Tageslicht, die indigene Kinder in diesen Umerziehungseinrichtungen erlitten haben und viele sind gestorben. Die US-Innenministerin, Deb Haaland, die selbst eine Native American ist, setzt sich jetzt massiv dafür ein, dass umfangreiche Ermittlungen stattfinden, damit endlich ein Heilungsprozess in Gang gesetzt werden kann.


Im November des vergangenen Jahres hatte Deb Haaland das Wort "Squaw" offiziell zu einem abwertenden Begriff erklärt.


Mehr als 600 geografische Stätten in den USA, die dieses Wort in ihrem Namen tragen, sollen jetzt umbenannt werden. Im Buch zum Film wird das Wort "Squaw" verwendet und schon allein das ist ein wichtiger Grund dafür, dieses Buch vom Markt zu nehmen. In einigen Kommentaren wurde darauf hingewiesen, dass die Geschichte in einer anderen Zeit spielt, in der dieses Wort sehr wohl benutzt wurde. Bei den, vom Markt genommenen Büchern, handelt es sich jedoch nicht um einen historischen Roman mit Originalzitaten aus einer anderen Zeit, sondern um ein Buch für Kinder und diese jungen Leser und Leserinnen werden dann weiterhin ein Wort verwenden, das aus der Kolonialzeit stammt und sich bis heute gehalten hat, obwohl es ein abwertender und beleidigender Begriff ist. Es gibt in der Wissenschaft verschiedene Meinungen dazu, wie dieses Wort ursprünglich entstanden ist, entscheidend ist jedoch, wie es verwendet wurde. "Squaw" war sehr oft eine Bezeichnung für indigene Frauen im Sinne von "Sexobjekt", "Hure", "Schlampe" und "leicht zu haben".

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