Wie Medien berichteten, soll im März 2021 eine deutsche Politikerin von einigen Mitgliedern ihrer eigenen Partei heftig kritisiert worden sein. Während einer Versammlung wurde ihr die Frage gestellt, was sie als Kind gerne werden wollte. Sie hatte diese mit "Indianerhäuptling" beantwortet. Später teilte sie mit, es hätte sich dabei um eine "unreflektierte Kindheitserinnerung" gehandelt. In einem Jahr, in dem Bundestagswahlen anstehen, werden "verbale Ausrutscher" (bzw. die Reaktion darauf) sofort dazu verwendet Stimmungen zu erzeugen und so wurde auch dieser Vorfall innerhalb kürzester Zeit bekannt.
Die Reaktionen auf diese "unreflektierte Kindheitserinnerung" werfen etliche Fragen auf. Was ist so schlimm daran, wenn jemand als Kind den Wunsch hatte, ein "Indianer" zu sein und dies öffentlich äußert? In Deutschland gibt es inzwischen eine wachsende Anzahl von Menschen, die fordern, das Wort "Indianer" aus dem deutschen Sprachgebrauch zu verdammen. Darüber wird besonders in den sozialen Netzwerken heftig und kontrovers diskutiert. Doch ist das Wort "Indianer" wirklich rassistisch? Und wer entscheidet darüber, welche Begriffe politisch korrekt sind und welche nicht? Bringt es uns entscheidend weiter, wenn in Zukunft jeder, der es wagt das "böse I-Wort" in den Mund zu nehmen, sofort in die Schranken verwiesen wird? Eines ist sicher: Stereotype Vorstellungen verschwinden nicht dadurch, dass ein Wort verboten wird. Und mit ihren "unreflektierten Kindheitserinnerungen" steht die deutsche Politikerin nicht alleine dar, bei weitem nicht.
Am 22.03.2021 wurde ich von der Zeitung WELT um ein Interview gebeten, das noch am selben Tag unter dem Titel „Traum vom Indianerhäuptling sollte man den Kindern nicht verbieten“ im Internet veröffentlicht wurde. Beim Durchlesen der Kommentare wurde mir sehr schnell bewusst, dass ein Teil meiner Aussagen von einigen Lesern nicht verstanden oder fehlinterpretiert wurde. Ich beschloss daraufhin, die einzelnen Punkte näher zu erläutern. Da diese Themen jedoch sehr komplex sind, ist im Laufe der Zeit dieser umfangreiche Beitrag daraus entstanden.
Themenübersicht:
In einem kurzen Artikel lässt sich längst nicht alles wiedergeben, was während eines ca. halbstündigen Interviews gesagt wurde. Das ist grundsätzlich so. In der Regel werden Kernaussagen zusammengefasst und in einer stark gekürzten Form veröffentlicht. Im digitalen Zeitalter geschieht dies in einem rasanten Tempo. Durch die Kommentarfunktionen, ist es bei vielen Online-Publikationen möglich, seine eigene Meinung zu äußern und Diskussionen zu führen. Das Lesen der Kommentare kann sehr hilfreich sein, weil dann klar wird, welche Aussagen in dieser gekürzten und vereinfachten Form nicht konkret genug waren. So erfahren wir, bei welchen Themen Klärungsbedarf besteht. Wir sind deshalb stets darum bemüht, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und ich möchte nun meinen Beitrag dazu leisten.
"Das Problem ist auch, dass wir keinen deutschen Begriff haben, der das passend übersetzt. Wir haben es noch nicht mal in unserer Sprache."
(Zitat aus dem Interview)
Was genau wollte ich mit dieser Aussage zum Ausdruck bringen?
Der Versuch, den englischen Begriff "Native Americans" komplett in den deutschen Sprachgebrauch zu integrieren, bringt einige Probleme mit sich. Mal ganz abgesehen davon, dass er vielen Deutschen nach wie vor nicht geläufig ist. Im Gegensatz zur englischen Sprache, besteht im Deutschen die Möglichkeit ganz klar zum Ausdruck zu bringen, ob Inder oder Indianer gemeint sind, bzw. ob etwas indisch oder indianisch ist. Im Englischen gibt es dafür nur das Wort "Indian". Um klar auszudrücken, dass von Indianern die Rede ist und nicht von Indern wird deshalb der Begriff "American Indian" verwendet und dieser ist in den USA nach wie vor weit verbreitet und in vielen Bereichen wird er auch von Native Americans häufig benutzt. Dafür gibt es verschiedene, unter anderem auch rein rechtliche Gründe. Wir werden dies in Zukunft noch näher erläutern.
Zurück zur Verwendung des Wortes "indianisch" in der deutschen Sprache. Wenn ich sage, dass wir indianische Künstler unterstützen, dann weiß jeder sofort, wer damit gemeint ist. Wenn wir das Wort "indianisch" vermeiden wollen, so stellt sich die Frage durch welche Wörter wir es ersetzen sollten. Die Kombination aus zwei englischen und einem deutschen Wort kommt mir, ehrlich gesagt, nur sehr schwer über die Lippen: "Wir unterstützen Native American Künstler." Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass wir es nicht gewohnt sind. Ich könnte statt "Native American" das Wort "indigen" verwenden: "Wir unterstützen indigene Künstler." Doch dann ist nicht klar, welche Künstler von welchen Kontinenten. Ich müsste es also so ausdrücken: "Wir unterstützen indigene Künstler aus Nordamerika." Das wäre politisch korrekt, doch wie viele Menschen würden zum jetzigen Zeitpunkt "indigene Künstler aus Nordamerika" in die Suchmaschinen eingeben? Es bringt indianische Künstler, die sich einen Markt in Deutschland erschließen möchten, keinen Schritt weiter, wenn sie aus Gründen der politischen Korrektheit im Internet von ihren potentiellen deutschsprachigen Kunden nicht gefunden werden.
Die Bezeichnung "Ureinwohner Nordamerikas" ist ebenfalls nicht wirklich dazu geeignet, das Wort "indianisch" zu ersetzen: "Wir unterstützen nordamerikanische Ureinwohner Künstler." Oder: "Wir unterstützen Künstler, die Ureinwohner Nordamerikas sind." Das klingt schon wesentlich besser. So richtig kompliziert wird es jedoch, wenn ich zum Ausdruck bringen möchte, dass mir ein indianisches Gericht sehr gut geschmeckt hat: "Ich habe das nordamerikanische Ureinwohner Essen sehr genossen." Oder: "Ich habe das Essen, dass von den nordamerikanischen Ureinwohnern stammt, sehr genossen." Bei einem einzelnen Satz ist das noch machbar, aber wenn ich einen ganzen Vortrag halten soll oder einen Artikel schreibe, wird es schwierig. Mal ganz abgesehen davon, dass viele Menschen mit dem Begriff "Ureinwohner" nach wie vor ganz bestimmte Vorstellungen verbinden.
Der englische Begriff "Native American" wird oft mit "Ureinwohner Nordamerikas" übersetzt. Doch das trifft es nicht ganz. Im Englischen wird eine Person auch dann als "Native" bezeichnet wenn "sie an einem bestimmten Ort geboren oder durch Geburt mit einem Ort verbunden ist, unabhängig davon, ob sie später dort ansässig ist oder nicht: A native of Montreal / an eighteen-year-old Brooklyn native"
"Der Begriff „Indianer“ differenziert nicht. ... Wir nennen ja auch nicht jeden Menschen aus Europa „Europäer“. Wir sagen Griechen, Deutsche, Italiener."
(Zitat aus dem Interview)
Diese Aussage ist von einigen Lesern völlig falsch verstanden worden. Es ging zu keiner Zeit darum, dass wir es vermeiden sollten, jemanden als Europäer zu bezeichnen. Warum sollten wir das tun? Ich habe bewusst die Bezeichnung "Europäer" gewählt, um diese dem Begriff "Indianer" gegenüber zu stellen, denn beide sind im Grunde genommen Sammelbezeichnungen, bzw. Oberbegriffe. Bei der Verwendung des Wortes "Indianer" als Oberbegriff sind sich viele jedoch nicht der Tatsache bewusst, dass es sich dabei um eine Fremdbezeichnung für hunderte von Nationen handelt, die sich massiv voneinander unterscheiden. Sie sprechen verschiedene Sprachen und haben sehr unterschiedliche Kulturen, Traditionen, Glaubensüberzeugungen, Zeremonien, Wertvorstellungen und Lebensstile. Es ist vergleichbar mit der Vielfalt der Völker, bzw. Nationen in Europa oder in Asien oder in Afrika. Wenn ich "Europäer" sage, dann ist es vollkommen klar, dass es sich dabei um Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen handelt und dass sie verschiedene Sprachen sprechen und dass sie sich auch in ihren Wertvorstellungen und ihrem Lebensstil voneinander unterscheiden. Wenn es um Europäer geht, ist es gang und gäbe zu differenzieren. Die meiste Zeit wird eben nicht gesagt: "Soundso ist Europäer." Stattdessen ist von Italienern, Griechen, Deutschen etc. die Rede. Da heißt, jeder weiß sofort genau, aus welchen Nationen diese Personen stammen.
Wenn es um Native Americans geht, wird die allermeiste Zeit überhaupt nicht differenziert. Es sei denn, es handelt sich zum Beispiel um einen Dokumentarfilm, der an einem ganz bestimmten Ort gedreht wurde. Dann tauchen auf einmal Namen der einzelnen indianischen Nationen auf. Doch selbst in solchen Dokumentationen wird im weiteren Verlauf immer wieder der Sammelbegriff "Indianer" verwendet. All dies erweckt den Eindruck, Native Americans seien alle gleich. Es gibt massenweise "Indianergeschichten" und "Indianerbücher" für Kinder. Immerhin wird in einigen "Sachbüchern" kurz erklärt, dass es verschiedene Stämme gibt. Doch weitere Details erfahren die Kinder nicht. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass ich in Schulen oder in Kindergärten oft von den Kindern gefragt werde, ob ich "indianisch" spreche. Sie gehen in der Regel davon aus, dass alle Native Americans dieselbe Sprache sprechen. Wenn ich frage, was ihnen einfällt, wenn sie an Indianer denken, dann erhalte ich folgende Antworten:
Wenn ich pädagogische Einrichtungen besuche und die Frage stelle, ob ich eine Indianerin sei. Dann sagen die Kinder: "Nein." Wenn ich frage, warum ich dies nicht bin, dann erklären sie mir: "Du trägst keine Federn."
Nein, sie sind keine Rassisten. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass es in den allermeisten Fällen ein Mangel an Wissen ist, der dazu führt, dass diese Stereotypen an die nächste Generation weitergegeben werden. Es steckt keine böse Absicht dahinter. Ganz im Gegenteil; viele möchten sogar ihre Bewunderung zum Ausdruck bringen, die sie den Native Americans gegenüber empfinden. Es fehlt jedoch das Bewusstsein dafür, wie schädlich die Auswirkungen dieser massiven Stereotypisierung sind und dass dabei im Grunde genommen die Existenz von mehreren hundert Nationen und Communities fast vollständig außer Acht gelassen wird.
Sich als Indianer zu verkleiden, wurde von einem sehr großen Teil der deutschen Bevölkerung bis vor kurzem noch als völlig harmlos angesehen. Dies ändert sich gerade in einem rasanten Tempo. Im Großen und Ganzen sind wir für diese Entwicklung dankbar, denn sie beinhaltet die Chance, dass in Zukunft endlich eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Native Americans und Europäern stattfinden kann. Stereotype Vorstellungen und seien sie, auf den ersten Blick betrachtet, noch so positiv, verhindern einen offenen, ehrlichen und unbefangenen Austausch. Die Rassismus-Vorwürfe führen jedoch zwangsläufig zu verhärteten Fronten zwischen denjenigen, die Indianerkostüme als völlig harmlos ansehen und unreflektiert "Indianerprojekte" durchführen und denjenigen, die sich intensiv mit den Folgen eurozentrischen Denkens, rassistischen Handelns und kultureller Aneignung beschäftigen.
Scharfe Kritik mit persönlichen Anschuldigungen behindert den Umdenkungsprozess, der hierzulande endlich in Gang gesetzt wurde. Die Ächtung des "bösen I-Wortes" lässt stereotype Vorstellungen, die seit mehreren Generationen bestehen, ganz bestimmt nicht über Nacht verschwinden. Selbst wenn wir konsequent Bezeichnungen verwenden würden, die als politisch korrekt gelten, bedeutet dies noch lange nicht, dass indianische Nationen dann endlich den gleichen Stellenwert haben wie europäische. Kindern das Tragen von Indianerkostümen verbieten zu wollen, ist ebenfalls kontraproduktiv. Hier in Deutschland schauen viele Kinder regelmäßig die Fernsehserie "Yakari" an, durch die stereotype Vorstellungen weiterhin verbreitet werden und die von den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF ausgestrahlt wird. In den USA gibt es inzwischen "Molly of Denali", eine Serie, die ohne diese Stereotypen auskommt. Es ist die erste in den USA ausgestrahlte Kinderserie (Zeichentrick), bei der ein zehnjähriges Mädchen, das Alaska Native ist, die Hauptrolle spielt.
Solange Yakari für viele Kinder in Deutschland ein Vorbild ist, können wir sie nur behutsam dort abholen, wo sie gerade stehen, ihnen Wissen über die Vielfalt indianischer Nationen vermitteln und ihnen Alternativen zu kitschigen Basteltipps bieten, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen.
In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend noch ein weiteres Missverständnis aus dem Weg räumen. Während des Interviews wurde ich gefragt, was unsere Organisation dagegen unternimmt. Die Frage bezog sich auf die (u.a. auch durch "Yakari") weit verbreiteten stereotypen Vorstellungen. Hier ist die zusammengefasste und veröffentlichte Fassung meiner Antwort:
"Wir haben zum Beispiel gemeinsam mit Native Americans Schulen besucht, die gezeigt haben, wie die Trachten ihrer Völker aussehen. Die Kinder wollten daraufhin die Faschingskostüme gar nicht mehr anziehen."
Daraus schloss ein Leser des Artikels, wir hätten einen "Kindergartenfasching" besucht und den "Kleinen erklärt, wie rassistisch ein Federschmuck mit Mokassins ist". Das ist eine Schlussfolgerung, die meilenweit von dem entfernt ist, wie wir unsere Bildungsarbeit in die Praxis umsetzen. Wie bereits weiter oben erläutert, empfinden wir es als wichtig, die Kinder dort abzuholen, wo sie gerade stehen und wenn diese in einem Indianerkostüm zu unseren kulturellen Veranstaltungen gekommen sind, dann haben wir definitiv nicht das Wort "Rassismus" in den Mund genommen. Dass Kinder keine rassistischen Motive verfolgen, wenn sie sich als "Indianer" verkleiden, sollte eigentlich jedem klar sein. Meistens verbinden sie eine ganze Reihe von positiven Eigenschaften mit dem, was sie für "indianisch" halten. Ganz offensichtlich ist die Zeichentrickfigur "Yakari" eine "Verkörperung" all dieser positiven Eigenschaften, die hierzulande den Native Americans zugeschrieben werden. Für viele Deutsche aus meiner Generation war es der fiktive Charakter "Winnetou", der eine ganze Reihe positiver Eigenschaften verkörperte und für die Gerechtigkeit kämpfte.
Ich empfinde es als sehr wichtig zu reflektieren, woher diese Faszination kommt, die viele Deutsche "Indianern" gegenüber empfinden. Was steckt wirklich dahinter? Spätestens, wenn man selbst Zeit mit Native Americans verbringt, wird einem klar, dass es sich bei den "Indianern aus der Kindheit" um Fantasiegebilde gehandelt hat. Der Lernprozess, der dann in Gang gesetzt wird, ist spannend und kann für beide Seiten eine wahre Bereicherung sein. Es tut gut, anderen Menschen offen begegnen zu können und zu lernen, sie so zu sehen und zu akzeptieren, wie sie wirklich sind. Die meisten Native Americans, die nach Deutschland kommen, sind ebenfalls fasziniert von unserem Kulturgut und auch sie stellen fest, dass es "den typischen Deutschen", das US-amerikanische Klischee so nicht gibt. Und ähnlich wie bei uns, werden ab und zu alte Kindheitserinnerungen geweckt. Beim Betrachten einer alten Burganlage sagte ein Native American zu mir: "Als Kinder haben wir oft Ritter gespielt".
Carmen Kwasny
Wer sich noch intensiver mit diesen Themen beschäftigen möchte, findet weitere Informationen auf folgender Seite:
Aus den Blickwinkeln von Native Americans heraus betrachtet
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