Winnetou und kein Ende 

Die Macht der Medien

von Carmen Kwasny

Wie bereits in meinem Artikel "Soll Winnetou abgeschafft werden?" beschrieben, stand am 23.08.2022 das Telefon nicht mehr still und auch in den Tagen danach erhielten wir weitere Interviewanfragen. Wir bekommen darüber hinaus sehr viele Nachrichten, in denen Zustimmung oder Ablehnung geäußert wird. 

Wir möchten außerdem dazu auffordern, erst in aller Ruhe diesen und die verlinkten Artikel zu lesen, bevor unser Kontaktformular ausgefüllt wird, denn wir haben definitiv nicht gefordert, dass Winnetou "gecancelt" werden sollte und auch die Forderung nach der Ächtung des Wortes "Indianer" stammt nicht von uns. Wir haben eine differenziertere Sichtweise und werden dies auch noch näher erläutern, sobald es die Zeit erlaubt. Die Bezeichnung "Indianer" ist schon allein deshalb problematisch, weil damit in der Regel sehr viele stereotype Vorstellungen verbunden sind.  

Am 23.08. ging es in erster Linie darum, den Kontakt zu Native Americans herzustellen, die in Deutschland leben und dazu bereit sind, ein Interview zu geben. In meiner Eigenschaft als 1. Vorsitzende unserer Organisation wurde ich ebenfalls um Interviews gebeten. Da ich selbst Deutsche bin, sollte eigentlich klar sein, dass ich keine "Vertreterin der amerikanischen Ureinwohner in Deutschland" sein kann. Dies wird jedoch von den Medien immer wieder behauptet. Als 1. Vorsitzende der Native American Association of Germany (NAAoG) vertrete ich in der Öffentlichkeit die Position unserer Organisation und diese hat sich seit der Gründung im Jahre 1994 in den meisten Bereichen nicht wesentlich verändert und da es Vorläufer der NAAoG gab, ist es eine Tatsache, dass wir seit mittlerweile mehr als 30 Jahren darauf hinweisen, wie schädlich stereotype Vorstellungen sind und seien sie noch so "positiv". Wir haben unzählige Kultur- und Bildungsveranstaltungen organisiert und bei all diesen Bemühungen stand uns immer eine Tatsache massiv im Weg:

Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung will sich nicht von den stereotypen Vorstellungen verabschieden, mit denen liebgewonnene Kindheitserinnerungen verbunden sind. Winnetou ist bei sehr vielen der Held ihrer Kindheit. Er wird so massiv verteidigt, dass man glauben könnte, es ginge dabei um das eigene Leben.

Die Medien sind sich dieser Tatsache durchaus bewusst und so wurde die Entscheidung des Ravensburger Verlags, zwei Bücher vom Markt zu nehmen, von einigen dazu benutzt, daraus die Forderung nach einem Winnetou-Verbot zu konstruieren. Dementsprechend groß war dann auch der Aufschrei innerhalb der Bevölkerung. Doch eine Frage bleibt dabei noch immer offen:

Wer soll dieses Verbot gefordert haben?

Wir hatten inzwischen endlich etwas Zeit, uns darüber auszutauschen, was hier vor sich geht - Red Haircrow, Tyrone White und ich. Sie sind beide keine Mitglieder der NAAoG, aber wir stehen schon seit Jahren in Kontakt miteinander. Weitere Gespräche werden folgen. Aber, allein das, was ich bis jetzt erfahren habe, war sehr aufschlussreich. Letztendlich hat es zu der Entscheidung geführt, dass ich nicht mehr dazu bereit bin, die sehr problematische Herangehensweise der Medien weiterhin zu unterstützen, die sich die Verteidigung Winnetous groß auf die Fahnen geschrieben haben, da sie sonst einen großen Teil ihrer Leserschaft massiv verärgern würden. Folgenden Ablauf konnten wir dabei beobachten:

Wir werden äußerst höflich um ein Interview gebeten mit Erklärungen dazu, warum gerade wir so gut dafür geeignet sind. Bis wir die Folgen dieser fingierten Debatte in Form von widerwertigen verbalen Attacken zu spüren bekamen, war ich in dem Glauben, dass dies eine sehr gute Möglichkeit wäre, eine breitere Öffentlichkeit über stereotype Vorstellungen aufklären zu können. Weit gefehlt. Inzwischen habe ich einen ganz anderen Eindruck bekommen. Es geht in erster Linie ums Geschäft, um Seitenklicks und Einschaltquoten. Je erhitzter die Gemüter, desto mehr klingelt es in der Kasse.

Nach den ersten provozierenden Artikeln kam die Kritik, dass Native Americans, also die Betroffenen selbst, mal wieder nicht zu Wort gekommen sind. Eine Kritik, die definitiv berechtigt ist und so dachte ich: "Endlich soll ein Thema auch in Deutschland gemeinsam mit Native Americans und nicht über ihre Köpfe hinweg diskutiert werden." Und ich vermittelte die Kontakte, was in Zukunft so auf die Schnelle nicht mehr möglich sein wird, denn wir werden ab sofort zu unserem eigenen Schutz Bedingungen stellen, bevor wir zu weiteren Interviews bereit sind. Wir lassen uns nicht mehr instrumentalisieren, denn in vielen Fällen ging es genau darum. Und wir werden auch den ständig zunehmenden Versuchen, uns als radikale Randgruppe darzustellen, etwas entgegensetzen. Diese Methode, Menschen als angeblich inkompetent erscheinen zu lassen, ist in Deutschland gang und gäbe. Die Native American Association of Germany ist keine "Aktivistengruppe von Indianern in Kaiserslautern, die als Angehörige der US-Army nach Deutschland kamen und sich hier für die Interessen indigener Völker und Indianer einsetzt." Dies hat der Ethnologe Christian Feest in einem Interview gegenüber "Der Standard" behauptet. Der Wandel, den unsere Organisation im Laufe der vielen Jahre durchlaufen hat, ist ganz offensichtlich von einigen nicht bemerkt worden. Eine E-Mail oder ein Anruf hätten mehr Klarheit bringen können. Unser Schwerpunkt liegt inzwischen im Bereich der Bildung, was jedoch nicht bedeutet, dass wir uns alles gefallen lassen müssen. Doch sobald wir es wagen, uns kritisch zu äußern, weil es die Umstände erfordern, eine klare Position zu vertreten, landen wir sofort in der Schublade "radikale Minderheit".  

Im Rahmen dieser ganzen konstruierten und künstlich angeheizten "Debatte" haben mehrere Native Americans Interviews gegeben und was ist dann geschehen?

  • Die Aussagen wurden komplett aus dem Zusammenhang gerissen.
  • Uns wurde zu einem großen Teil verschwiegen, wer sonst noch alles im Rahmen des Berichts zu Wort kommen wird, bzw. welche Interviews schon stattgefunden hatten.
  • Unmittelbar nach den sehr stark gekürzten Aussagen und Zitaten von den in Deutschland lebenden Native Americans, kamen dann die "echten Experten" zu Wort. Dabei handelte es sich um nicht-indigene Wissenschaftler, Ethnologen, Professoren und Medienexperten, die dann die Entscheidung des Ravensburger Verlags, als "keine kluge Entscheidung", "völlig absurd" und "überzogen" bezeichneten, um nur einige Aussagen zu nennen. Im Buch zum neuen Film wird das Wort "Squaw" verwendet, dass noch aus der Kolonialzeit stammt und als Bezeichnung für indigene Frauen im Sinne von "Sexobjekt", "Hure", "Schlampe" und "leicht zu haben" verwendet wurde. Schon allein deshalb gehört dieses Buch nicht auf den Markt. Aber laut Aussagen der nicht-indigenen "Experten für Fragen der indigenen Völker Nordamerikas" sei dies ja alles nicht so schlimm und bei denjenigen, die sich darüber aufregen, handle es sich um eine Gruppe Radikaler, die "einer Mehrheit diktieren wollen, was sie zu lesen habe". Dies ist jetzt die neuste Darstellung aus der Sicht eines deutschen Politikers. 
  • Nach oder zwischen den Interviews kommen dann noch die allseits beliebten Umfragen, die schon allein deshalb nicht repräsentativ sein können, da schon allein durch die Formulierungen der Fragen ganz bestimmte Antworten provoziert werden. Dies ist nur ein Beispiel von vielen: "War es richtig, dass Ravensburger die Begleitbücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou" nach Rassismus-Vorwürfen aus dem Programm nahm?" (Umfrage von Stern TV). 

Wir hätten die Fragen anders gestellt:

"War es richtig, dass der Ravensburger Verlag die Begleitbücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou" vom Markt genommen hat, weil dadurch erneut stereotype Vorstellungen über indigene Völker an die nächste Generation weitergegeben werden?

Ist es richtig ein Kinderbuch vom Markt zu nehmen, in dem Kindern beigebracht wird, es sei in Ordnung eine indigene Frau als "Squaw" zu bezeichnen, obwohl in den USA jetzt mehr als 600 geografische Stätten, die dieses Wort in ihrem Namen tragen, umbenannt werden?"

In den USA und Kanada sind große Veränderungen zu beobachten. Deutschland scheint noch meilenweit von einer Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit entfernt zu sein. Erste Ansätze sind sichtbar, aber eine fingierte Forderung nach einem Winnetou-Verbot allein reicht schon aus, um einen Sturm der Entrüstung loszubrechen, der unter anderem dazu führt, dass all diejenigen, die zum Nachdenken anregen möchten, auf übelste Art und Weise beschimpft und beleidigt werden und ihre Kompetenz wird massiv in Frage gestellt.   

Wir werden diese Themen noch weiter vertiefen.